„Manchmal werden wir gefragt, ob uns hier draußen nicht langweilig wird, aber schauen sie sich die Aussicht an!“ Langeweile oder Zeitmangel sind für Herbert Wirth gleichermaßen unverständlich. Er ist stolz auf sein Zeitmanagement, das ihn in einem chronischen Zustand der Beschäftigung hält, ohne dass Stress oder Hektik aufkommen.
„Ich kann mir immer Zeit nehmen, wenn mir etwas gefällt oder wichtig ist.“ Und das ist nicht wenig. Zusammen mit seiner Frau hat er rund um ihr Haus ein Aufzuchtgehege für verletzte Wildtiere angelegt. Die beiden versorgen die Tiere, ziehen sie auf, geben, was gebraucht wird, und lassen sie dann frei bzw. ihren Weg gehen. 112 Wildtiere waren es allein von Januar bis September letzten Jahres. Rehe und Füchse, ebenso wie Enten, Raben und alles, was im Wald oder um den See auf Hilfe angewiesen ist.
Morgens um 5:45 Uhr stehen die Wirths im Sommer auf, im Winter gegen 6:30 Uhr. Außer es ist ein ganz Junges unter den Schützlingen, das mit der Flasche aufgezogen wird und auch mitten in der Nacht seine Ziegenmilch bekommen muss. „Die Tiere sind wie Geschwister für mich“, antwortet Frau Wirth, wenn man nach all der Mühe fragt, die sich die beiden mit den Tieren machen. Ich freue mich, wenn ich etwas geben kann. Die tägliche Vollzeitaufgabe verpflichtet. Reisen, Urlaub oder auch nur ein Kurztrip sind undenkbar. „Wer würde sich kümmern?“ Viel zu viel Arbeit, um sie jemand anderem aufzuhalsen. Für sie ist das alles kein Ballast, eher ein fester Anker. Sie wollte und will nicht weg von hier. Er wäre gern gereist, hätte sich andere Länder angesehen, aber nicht allein.
Nicht nur etwas machen, sondern auch zuhören, hinsehen, relativieren. Vor allem sich selbst und die eigenen Ansichten.
Austausch mit anderen Menschen und Kulturen gab es für die beiden dennoch reichlich. Der pensionierte Lehrer und seine Frau üben seit über 50 Jahren verschiedene ehrenamtliche Tätigkeiten aus. Kirchlich, sozial, und gewerkschaftlich haben sie sich engagiert. Querschnittsgelähmte junge Männer, Flüchtlinge oder der Demenz anheimgefallene alte Damen, sie haben sich eingebracht, wo es ihnen wichtig und richtig erschien. „Es kommt viel zurück.“ Das Gefühl, gebraucht zu werden und Menschen oder Tieren etwas von dem zurückgeben zu können, was ihnen vom Leben vorenthalten wird, sind Motivation und Belohnung zugleich. „Ehrenamt ist immer Austausch mit anderen.“ Nicht nur etwas machen, sondern auch zuhören, hinsehen, relativieren. Vor allem sich selbst und die eigenen Ansichten.
„Ein von außen betrachtet homogener Kreis von Flüchtlingen spaltet sich innerhalb eines Kirchennachmittags mit Tee und Kuchen in eine sehr heterogene Versammlung verschiedener Ethnien, die gegenseitig nichts füreinander übrig haben. Der Europäer steht daneben und kann was lernen über die Welt.“ Unter anderem, sich einzustellen auf Menschen, auf Situationen und Lebensumstände, die zum Glück nicht immer die eigenen sind. Wenn man sich nur um sich selbst dreht, werden die eigenen Probleme absolut und immer größer dabei. Die Arbeit im Versehrtenheim setzte für beide einen anderen Vergleichsmaßstab. „Junge Männer mit Querschnittslähmungen teilweise vom Hals abwärts; Motorrad-, Sport- und Badeunfälle, angewiesen auf andere, abgeschoben von der Familie, die sich nicht kümmern will oder kann, da kommt man nach Hause und ist einfach nur glücklich, dass es einem gut geht.“ Jemandem mit Respekt, Zuneigung und Hingabe zu begegnen, dem es schlecht geht, trübt nicht die Freude an der eigenen Unversehrtheit. Was als selbstverständlich hingenommen wird, erscheint wieder bewusst. Ebenso, was der scheinbare Normalzustand alles…
Diese und 18 weitere Geschichten über das Suchen und Finden erscheinen am 01.06.18 im SALON Literatur Verlag München
HC, gebunden, durchgehend vierfarbig bebildert ca. 202 Seiten
Preis: 39,- €
Subskriptionspreis bis 31.06.2018: 25,- €
ISBN 978-3-947404-06-3
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